Gestern wurden die Befürchtungen europäischer Krypto-User wahr: Das Europäische Parlament hat für eine verschärfte Regulierung von Kryptowährungen gestimmt. Vor allem die Diskriminierung der Schlüsselverwahrung durch Wallets ist extrem unangenehm – aber nicht die einzige Giftpille. Verabschiedet sich die EU damit aus dem Markt der Kryptowährungen?
Das Europäische Parlament hat gestern über die Verordnung zur Regulierung des Transfers von Krypto-Assets abgestimmt.
Wie bereits berichtet, haben Mitglieder der damit beauftragten Ausschüsse den Vorschlag der EU-Kommission erheblich verschärft, unter anderem durch das Streichen von Schwellensummen und einer erheblichen Diskriminierung von Wallets. Nun hat das Parlament über diese überarbeitete Fassung abgestimmt.
Es war knapp, doch Entwurf fand eine Mehrheit. Wie erwartet haben die Fraktionen der Sozialdemokraten, der Grünen und der Linken größtenteils für den Entwurf gestimmt, die der Konservativen bzw. Volksparteien sowie der Liberalen und der rechtslastigen ECR eher dagegen.
Stefan Berger, Mitglied des ECON-Ausschusses am Parlament, bedauert die Entscheidung sehr:
Ich bedaure die Ergebnisse über die Änderungsanträge zur #TFR sehr. Das schwächt den Innovationsstandort Europa.
— Stefan Berger (@DrStefanBerger) March 31, 2022
Noch ist dies freilich lediglich ein Entwurf, noch kein Gesetz. Um zu einem solchen zu werden, bedarf es noch einiger Schritte:
Zuerst wird das Parlament den Entwurf in einer Plenum-Session angekündigen. Wenn dabei der Widerspruch ausbleibt, folgt der sogenannte Trilog: Parlament, Kommission und Rat verhandeln über das Gesetz, um eine Fassung zu finden, auf die sich alle einig sein können, und über welche danach Rat und Parlament abschließend abstimmen. Dieser Trilog wird sich über einige Monate hinziehen und stellt für viele die letzte Chance dar, die Verordnung noch zu kippen.
Manch einer hofft, dass Kommission und Rat den Entwurf dabei zumindest etwas entschärfen werden. Der deutsche Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler (FDP) etwas setzt darauf, dass Finanzminister Christian Lindner, der Deutschland in dieser Sache im Rat vertreten wird, „diesen Unsinn“ verhindert.
Das EP will, dass alle Krypto-Transaktionen von unhosted Wallets protokolliert werden müssen. Europa wird so zur Krypto-Walachei statt zum Krypto-Valley. Ich setze darauf, dass Finanzminister @c_lindner diesen Unsinn im Trilog mit EP und Kommission noch verhindern kann.
— Frank Schäffler (@f_schaeffler) March 31, 2022
Eine Gefahr für Sicherheit, Freiheit und Standort
Aber was, wenn das Gesetz nicht verhindert wird?
Der französische Hardware-Hersteller Ledger beklagt, dass private, also vom User selbst gehostete Wallets, für das Parlament offenbar vor allem ein Werkzeug von Kriminellen seien. Das erste und oberste Feature von Bitcoin und Kryptowährungen, nämlich die Möglichkeit, dass User die Schlüssel zum Vermögen selbst und autonom verwalten, rückt in die Nähe der Kriminalisierung. Man kann sich nicht genug über den Geist entsetzen, dessen Kind diese Idee ist.
Die geplante Regulierug gefährde zudem, so der Hardwarehersteller, die Sicherheit der User, schade der finanzielle Freiheit, der finanziellen Inklusion sowie dem Verbraucherschutz, schwäche den Wettbewerbsstandort der EU gegenüber amerikanischen und asiatischen Standorten und behindere die Arbeit von Strafverfolgern.
Ziemlich harte Nachteile. Aber ist dem auch tatsächlich so?
Schauen wir uns an, welche Effekte die Verordnung hat – und welche Konsequenzen daraus für den Standort Europa erwachsen.
Drei essenzielle Konsequenzen der Verordnung
Erstens werden sämtliche Kryptodienstleister jeder Transaktion zu anderen Kryptodienstleistern, beispielsweise von einer Börse zur anderen, umfangreiche Daten beifügen, etwa Anschrift und Ausweisnummer des Senders. Dies ist Teil des Entwurfs der Kommission. Dadurch werden die Dienstleister eine Fülle an privaten, hochsensiblen Daten schaffen; die Gefahr, dass diese über kurz oder lang in die Hände krimineller Hacker fallen und auf Schwarzmärkten landen, ist enorm.
Zweitens greift die volle Informations- und Prüfungspflicht bei jeder Transaktion. Es soll keine Schwellensummen geben, wie sie die Kommission vorgeschlagen hat. Das Parlament hat diese gestrichen.
Drittens fügt das Parlament mehrere Bestimmungen zu Wallets ein. So dehnt es die Pflicht, Informationen einzuholen und zu prüfen, teilweise auf Transaktionen von und zu eigenen Wallets von Usern aus, und macht eine Transaktion von mehr als 1.000 Euro von diesen zu einem Indikator dafür, dass ein Geldwäsche-Verdachtsmeldung an die Aufischt zu stellen ist.
Welchen Folgen all das nehmen wird
Der erste Punkt erscheint unvermeidbar, da die EU mit ihm lediglich die Travel-Rule der FATF umsetzt. Die Travel-Rule ist der bisher härteste regulatorische Angriff auf Kryptowährungen, weshalb wie ausgiebig und regelmäßig über sie berichten. Sie bestimmt, dass Krypto-Dienstleister an jede Finanztransaktion bestimmte private Daten anhängen müssen, so, wie es Banken schon lange müssen. Dies allein wird den Wettbewerbsstandort der EU wenn überhaupt nur vorübergehend schwächen, da die Travel-Rule über kurz oder lang weltweit gelten wird.
Dass das Parlament jedoch Schwellensummen streichen möchte, könnte den Standort der EU schwächen, da die FATF diese nicht ausschließt. Das Parlament verlangt damit also, ohne Not und Erfahrungswerte über die Vorgaben hinauszugehen.
Der dritte Punkt schließlich dürfte für User und Dienstleister am schmerzhaftesten wirken. Er wird zu einer Fülle an Verdachtsmeldungen führen, die man als einen DDoS-Angriff auf die Finanzaufsicht verstehen kann. Er wird dazu führen, dass Daten entstehen, welche Blockchain-Adressen mit privaten Daten verbinden, was die physische Sicherheit von Investoren massiv gefährden kann. Er wird es für Dienstleister und User lästig machen, Coins von eigenen Wallets auf Börsen zu senden, je größer die Summe, desto lästiger. Er ist so verheerend, wie Ledger ihn beschreibt.
Die Folge? Zunächst einmal sabotiert die EU gerade die Krypto-Branchen, bei denen es hier Unternehmen von Weltrang gibt. Während es ohnehin nur wenig relevante Börsen und Marktplätze in der EU gibt, etwa Bitcoin.de, sind die Wallet-Hersteller Ledger und Trezor weltweit führend – und gerade deren Produkt ist von der Diskriminierung privater Wallets am stärksten betroffen.
Dann werden sich User vermehrt bemühen, ihre Coins nicht auf Börsen zu bringen, sondern in privaten Wallets zu halten. Sie werden sich mehrmals überlegen, Coins auf Börsen zu schicken, um sie dort zu verkaufen, und vermehrt dezentrale Marktplätze benutzen. Unter Umständen wird dies auch die Nachfrage nach Privacy Coins befördern, da bei ihnen der Eingriff in die Privatsphäre durch die Travel-Rule sehr viel milder ausfällt.
Während die Aufsicht also in der Flut an Meldungen von regulierten Börsen über Transaktionen auf transparenten Blockchains ertrinken, werden alle User, die etwas zu verbergen haben oder auch nur auf ihrer durch EU-Recht garantierten Privatsphäre bestehen, sich vermehrt in die Dunkelheit anonymer Börsen und Privacycoins zurückziehen. Wenn die EU plant, kriminelle Krypto-Transaktionen zu bekämpfen, schießt sie ein gewaltiges Eigentor.
Ein Eigentor schießen auch jene Abgeordneten, die hoffen, mit dieser unnötig strengen Interpretation der Travel-Rule die „Luft aus der Blase“ zu lassen und den Bitcoin-Kurs zu schwächen. Vermutlich trifft genau das Gegenteil ein. Je schwieriger und drückender es wird, Coins auf eigenen Wallets gegen Euros auf Bankkonten zu wechseln, desto geringer wird das Angebot auf den Börsen sein – und desto höher der durch die Nachfrage verursachte Druck zu steigenden Preisen.
Nicht viel anders als das, was in Deutschland ohnehin schon gilt
Allerdings sollte man den Effekt der Verordnung auch nicht überbewerten.
Die Einführung der Travel-Rule ist wie gesagt global kaum zu vermeiden; das langsame Ticken der EU-Gesetzgebung könnte hier sogar helfen, den Wettbewerbsstandort zu stärken. Denn selbst wenn die Regeln in vollem Umfang beschlossen werden, wird es noch seine Zeit brauchen, bis sie zu nationalem Recht werden.
Die Travel-Rule bezieht sich zwar primär auf Dienstleister, da diese bei herkömmlichem elektronischem Geld immer im Spiel sind. Es ist allerdings unvermeidbar, dass in diesem Zuge auch die Frage auftaucht, wie die Travel-Rule mit den Wallets umgehen soll, mit denen User ihre privaten Schlüssel selbst speichern und verwalten. Wenn die EU in dieser Sache ohne Not zu weit vorprischt, dürfte das tatsächlich dem Standort schaden – doch in der einen oder anderen Form wird eine ähnliche Regulierung auch an anderen Standorten auftreten.
Grundsätzlich ist die Veordnung des Parlaments ohnehin nicht viel mehr als eine Variation von dem, was in Deutschland bereits im Oktober 2021 in Kraft trat.
Laut der Verordnung über verstärkte Sorgfaltspflichten bei dem Transfer von Kryptowerten muss ein Krypto-Dienstleister bei Transaktionen an Wallets „das mit dem Transfer verbundene Risiko des Missbrauchs zum Zwecke der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“ ermitteln, bewerten und mit angemessenen Maßnahmen beantworten. So sollen die Sender unter anderem umfangreiche Informationen zum Empfänger angeben, und der Dienstleister diese durch Onchain-Analysen oder beispielsweise Anrufe prüfen. Analog verlangt die Verordnung dasselbe bei eingehenden Transkationen.
Die deutsche Verordnung ist in der Sache teils härter, aber in der Formulierung offener als die Pläne des Europäischen Parlaments. Verabschiedet wurde die Verordnung von Bundeskanzler Scholz, damals noch in seiner Rolle als Finanzminister Scholz. Der heutige Finanzminister Lindner hat nichts dafür getan, diese Verordnung zu kippen, weshalb nicht eben zu erwarten ist, dass er sich auf EU-Ebene übermäßig dafür einsetzen wird, dass andere EU-Länder ihren Wettbewerbsvorteil gegenüber Deutschland behalten.
Anstatt zu hoffen, dass das Unvermeidbare nicht passiert, wird es für Krypto-User und Investoren Zeit, sich mit dezentralen Börsen, Privacycoins und anderen Technologien zu beschäftigen, die die Privatsphäre schützen.
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