Die Tether-Debatte, Teil 2: Warum Christoph Bergmann sich wenig Sorgen darüber macht, dass der Stablecoin kollabiert und die Kryptoökonomie mit sich reisst.
Dass die Tether-Dollar (USDT) nicht gedeckt sind, gilt beinah schon als Binsenweisheit. Seit spätestens 2018 pfeift eine Handvoll Spatzen dieses immerselbe Lied von allen digitalen Dächern.
Auf den ersten Blick ist sehr vieles an Tether beunruhigend: Die Firma dahinter ist eher dubios und suspekt als vertrauenseinflössend. Die vielen Bankenwechsel, die fehlenden Audits, die Verflechtung mit Bitfinex, die Vorgeschichte der beteiligten Personen. Da kann man nur misstrauisch sein. Und dann würde ein Kollaps des Stablecoins die Kryptomärkte mit sich reissen: Auf den Börsen würde Dollar-Liquidität im Umfang von zig Milliarden verpuffen, die Kurse würde abrutschen. Tether könnte die heiße Nadel sein, die den ganzen Markt implodieren lässt.
Dennoch sehe ich das Drama um die Stablecoins mittlerweile gelassen. Und das hat mehrere Gründe.
Erstens gibt es eine legitime Nachfrage nach Tether-Dollar. Man kann sie als technisches Upgrade des Dollar verstehen: schneller, privater, autonomer, unmittelbarer. Berichten zufolge werden die Dollar-Token etwa auf Graumärkten zwischen China und Russland und in Überweisungen von Gastarbeitern benutzt.
Dank der Tether-Dollar können alle Krypto-Börsen die volumenstarken Dollar-Handelspaare anbieten, ohne sich mit einer Bank herumärgern zu müssen – ein Riesenvorteil. Und seit DeFi groß wurde, kann man tokenisierte Dollar durch Smart Contracts leihen, verleihen oder handeln. Noch ein Riesenvorteil.
Warum also sollte Tether es nötig haben, gefälschte Dollar-Token herauszugeben, wenn es so starke Gründe für eine legitime Nachfrage gibt? Die Antwort auf diese Frage bleiben die Tether-Kritiker schuldig.
Der zweite Grund ist die Kompetenz des Unternehmens. Ja, vieles an Tether und Bitfinex ist fragwürdig. Dennoch sind beide Unternehmen der Konkurrenz technisch weit voraus. Tether-Dollar laufen auf 7-8 Blockchains, Circle-Dollar auf einer; Bitfinex ist eine der stabilsten, schnellsten und innovativsten Börse des Marktes, falls überhaupt eine andere gleichziehen kann. Es handelt sich um starke Plattformen, die dank der Zinsen auf Bankeinlagen bzw. Commercial Papers sowie der Handelsgebühren hochlukrativ wirtschaften.
Wer gut funktionierende Geschäftsmodelle hat, muss nicht betrügen. Warum sollte Tether ohne Not faken? Auch diese Antwort bleiben die Tether-Kritiker schuldig.
Diese beiden Gründe sprechen dafür, dass die Tether-Dollar gut gedeckt sind. Doch selbst wenn dem nicht so wäre – wäre dies kein Untergang. Das ist das dritte Argument: Es ist normal, dass Assets trotz einer Teildeckung wertstabil bleiben.
Das beste Beispiel ist das Geld auf der Bank. Es ist im System der Teilreserve zu teilweise nur einem Prozent durch Einlagen bei der Zentralbank gedeckt. Jeder weiß, dass ein Bankrun das Bankensystem kollabieren ließe. Auch der in Aktien gespeicherte Wert ist nicht ansatzweise liquidierbar, die von Versicherungen garantierten Leistungen nur beziehbar, wenn sich die Schadensfälle nicht zu sehr häufen. Und so weiter. Es funktioniert dennoch, und die meisten Tether-Kritiker, die auch Bitcoin-Kritiker sind, fühlen sich pudelwohl in einem System der Teilreserve und der pyramidensystemartigen Altersvorsorge.
Wenn Tether zu 90, 80 oder 70 Prozent gedeckt wäre, stünde der Stablecoin sehr viel solider da als andere Systeme, denen wir blindlings jeden Tag vertrauen. Dabei genießt Tether nicht nur das Vertrauen von Tradern, die den Stablecoin gerne benutzen. Als Anker eines riesigen Ökosystems von Krypto-Börsen zwingt es diese geradezu, den Stablecoin im Falle des Falles mit ihren üppigen Barreserven zu stützen.
Es gibt also sehr gute Gründe, dass die Tether-Dollar gedeckt sind. Aber selbst wenn nicht wäre es nicht die Tragödie, zu der es aufgeblasen wird.