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„Ein künstlicher letzter Atemzug auf dem Weg in die Irrelevanz“

Dez 7, 2022

Frankfurt am Main: Gebäudekomplex der Europäischen Zentralbank, von Nordwesten gesehen. Bild von Epizentrum via wikipedia.de. Lizenz: Creative Commons

Zwei Ökonomen der Europäischen Zentralbank (EZB) bloggen über Bitcoin – natürlich nur das Schlechteste. Was sind ihre Argumente, und wie valide sind sie?

Nachdem sich die BIZ vor kurzem mit einer Analyse zu Bitcoin geäußert hat, legt die Europäische Zentralbank (EZB) nun nach. Die beiden Ökonomen Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf veröffentlichen auf dem Blog der EZB ein Post mit dem vielsagend-düsteren Titel „Bitcoin’s last stand“, zu deutsch: Bitcoins letztes Gefecht.

Das Post liest sich wie eine Sammlung kritischer Gedanken zu Bitcoin, die nicht immer stringent zusammenhängen. Sie wirken mal treffend, mal an den Haaren herbeigezogen. Das Post liest sich an der einen Stelle wie eine logisch aufgebaute Analyse, ab der anderen wie ein Potpourri von allem Kritischen, was den Autoren zu Bitcoin einfällt. Manche Schlussfolgerungen werfen interessante Fragen auf, andere stehen auf tönernen Füßen.

Zunächst einmal bewerten die Ökonomen die Kursentwicklung von Bitcoin: Der Preis habe bei 69.000 Dollar eine Spitze erreicht, sei dann auf 17.000 gefallen und habe sich im Juni 2022 bei 20.000 Dollar stabilisiert. „Für Bitcoin-Verfechter signalisierte diese scheinbare Stabilisierung eine Verschnaufpause auf dem Weg zu neuen Höhen,“ kommentieren die Autoren scharfzüngig: „Doch viel wahrscheinlicher ist, dass es ein künstlicher letzter Atemzug auf dem Weg in die Irrelevanz war.“

Nach dieser respiratorisch inspirierten Polemik erklären die Ökonomen, warum Bitcoin gescheitert sei. Die Argumente wirken etwas zusammengewürfelt, doch ich versuche, sie einigermaßen geordnet wiederzugeben.

Kein Zahlungsmittel

Zunächst betonen sie, dass Bitcoin gegründet wurde, um das „existierende Geld- und Finanzsystem zu überwinden“, sozusagen als „Übergeld“, und seitdem „als globale dezentrale digitale Währung beworben wurde.“

Allerdings, wissen die Ökonomen, ist Bitcoin aufgrund technischer und konzeptioneller Gründe ein fragwürdiges Zahlungsmittel. „Echte [!] Bitcoin-Transaktionen sind umständlich, langsam und teuer.“ Sie scheinen von Lightning – „nicht-echten“ Transaktionen – zu wissen, ignorieren dies aber, vermutlich, weil sie es noch nicht einordnen können.

In jedem Fall schließen sie dass Bitcoin „niemals in signifikantem Ausmaß für reale legale Transaktionen verwendet wurde.“ Das ist leider an sich richtig, auch wenn man fragen dürfte, was sie konkret mit real meinen, und warum die jeden Tag und jede Sekunde stattfindenden Transaktionen nicht „real“ sind.

Kein Wertspeicher

Irgendwann, stellen die Autoren fest, begann die Hoffnung, dass der Wert von Bitcoin unvermeidlich steigen werde, „den Narrativ zu dominieren.“ Nicht mehr das Zahlungsmittel stand im Fokus, sondern das Investment. Dieser Bemerkung ist schwer zu widersprechen, und viele Bitcoiner waren wenig begeistert von dieser narrativen Wende, die sich am deutlichsten im unsäglichen „Bitcoin Standard“ von Saifedean Ammous kristallisiert.

Bitcoin jedoch, erklären die Ökonomen, „eignet sich nicht als Investment. Es generiert keinen Cash-Flow (wie Immobilien) und keine Dividenden (wie Aktien), kann nicht produktiv genutzt werden (wie Rohstoffe) und bietet keine sozialen Vorteile (wie Gold)“. Die Bewertung von Bitcoin basiere daher „auf nichts als Spekulation.“

Regulierung darf keine Legitimierung sein

Die gegenwärtige Regulierung sei von Missverständnissen geprägt. „Der Glaube, der Branche müsse Innovation um jeden Preis erlaubt sein, hält sich hartnäckig.“ Dies sehen die beiden Autoren anders. Für sie ist bereits entschieden, dass die Schäden, die Bitcoin verursacht, größer sind als das Potenzial, das in der Technologie liegt. Sie haben ihr Urteil schon gefällt.

Da Bitcoin auf einer neuen Technologie basiert – der Blockchain – sollte es „ein hohes transformatives Potenzial“ haben. Doch erstens, erkären die Autoren, haben „diese Technologien bisher nur einen sehr begrenzten Mehrwert für die Gesellschaft geschaffen“. Und zweitens sei es nicht ausreichend, eine vielversprechende Technologie zu benutzen, damit ein Produkt auch Werte schöpft.

Die bisherige Regulierung erwecke den Eindruck, Bitcoin zu legitimieren, und verführe daher die etablierte Finanzindustrie dazu, ihren Kunden Bitcoins anzubieten. Dies erwecke bei kleinen Investoren den falschen Eindruck, Bitcoin sei eine solide Geldanlage.

Da Bitcoin also weder als Zahlungsmittel noch als Investment geeignet ist, solle es, fordern die Autoren, auch nicht wie ein Zahlungsmittel oder Investment reguliert und damit legitimiert werden.

Abschließend raten sie der Finazindustrie zur Vorsicht, Bitcoin-Investments zu bewerben. Denn der Reputationsschaden für einzelne Banken und auch die ganze Branche könne enorm sein, wenn Bitcoin weitere Verluste macht.

Die Anmaßung von Wissen

Was ist dazu zu sagen? Manche der Argumente treffen, andere nicht, und vieles verschwimmt im Nebel von Vermutungen und Mutmaßungen.

Anstatt jedes Argument im Einzelnen durchzukauen, ist etwas Grundlegenderes festzustellen: Die Autoren gehen davon aus, dass ihr Urteil auch das der Marktakteure sein muss – oder sich der Markt eben irrt. Sie sehen sich selbst über dem Markt.

Das beginnt damit, dass sie entscheiden, was eine „reale“ (im Original: „real-world“) legale Transaktion ist. Laut Analysten hat nur ein winziger Bruchteil der gut 250.000 Bitcoin-Transaktionen am Tag einen kriminellen Ursprung. Was ist mit den anderen? Woher wissen die beiden Autoren, dass diese Transaktionen nicht „real“ sind? Ist eine Überweisunug nicht dann real, wenn jemand einen Grund hat, Geld zu übertragen – wenn also ein Markt für sie besteht?

Dann meinen sie, dass nur das ein Wertspeicher sein kann, was ihren Definitionen entspricht. Sie ignorieren, dass Aktien oft ihren Wert erhalten, obwohl die Verbindung zur ökonomischen Wirklichkeit oft dünn ist, Immobilien im Wert steigen, obwohl die Bevölkerung – und damit die „reale“ Nachfrage – stabil bleibt, und der Wert von Gold nur zu winzigen Bruchteilen etwas mit seiner Funktion als Schmuck zu tun hat – Werte sind subjektiv, und wenn nur genügend Menschen entscheiden, dass Bitcoin ein Wertspeicher ist, dann IST Bitcoin ein Wertspeicher, ganz unabhängig von den Maßstäben, die Ökonomen an Wertspeicher legen. Dank der knappen Geldmenge ist Bitcoin perfekt dafür geeignet, ein solcher subjektiver Wertspeicher zu werden.

Und schließlich entscheiden die beiden Autoren, dass die Blockchain-Technologie nur einen „sehr begrenzten Mehrwert für die Gesellschaft“ geschaffen habe. Erneut maßen sie sich an, zu wissen, was ein gesellschaftlicher Mehrwert ist, während sie dieses Wissen dem Markt absprechen, der das Blockchain-Ökosystem mit fast einer Billion Dollar bewertet. Zudem leiten sie daraus ab, entscheiden zu können, welches Potenzial eine Technologie in der Zukunft hat, und welche Bedeutung dafür aktuelle Anwendungen haben.

Wir finden bei den beiden Ökonomen die schon von Friedrich August von Hayek 1945 beklagte „Anmaßung von Wissen“. Vermutlich dürfte eine solche Haltung notwendig sein, wenn man als Zentralbanker die Wirtschaft der Eurozone mitsteuert. Aus dieser Perspektive ist schwer anzuerkennen, was in Bitcoin und Blockchain liegt: dass ein Geld auch dezentral sein kann – langfristig wohl auch dezentral werden muss –, dass nicht nur Geld, sondern auch Aktien, Anleihen, Kunstwerke und soziale und politische Institutionen dezentralisiert werden, dass Autonomie von Institutionen wie einer Zentralbank ein Wert an sich ist, und dass all dies schließlich zu stärkeren, transparenteren – perfekteren – Institutionen wie einer Zentralbank führen kann und führen muss.

Es wird immer Institutionen und Instanzen geben, die sich ein Wissen anmaßen, das sie gar nicht haben. Bitcoin und Blockchain wird diese Anmaßung von Wissen nicht abschaffen – aber begrenzen.


Quelle: BitcoinBlog.de

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